Doi.emh.ch
Ein vielschichtiges Problem, packen wir es an!
Muss Alter schmerzhaft sein?
Dieter Breil, Martin Conzelmann
Felix Platter-Spital, Basel
Die Schmerzgenese ist im Alter meist multifaktoriell, ohne «ausreichendes» Korre-lat. Schmerzfreiheit ist beim chronischen Schmerz nicht primäres Ziel, vielmehr müssen wir versuchen, dem Patienten wieder die Kontrolle über sein Leben zu-rückzugeben. Dabei ist die pharmakologische Analgesie die häufigste Grundlage einer Schmerztherapie.
«Ein Indianer kennt keinen Schmerz!» Dieser Aus-
Schmerzerleben gibt. Wird die Klammer am Mittelfin-
spruch an sich tut schon weh, denn Schmerzerfahrung
gerspitz angebracht, kann normalerweise lediglich ein
gehört zum menschlichen Dasein. Der akute Schmerz,
Schmerz von maximal NRS <3 provoziert werden; wird
als «bellender Wachhund» unseres Körpers macht
diese Klammer aber am Ohrläppchen positioniert,
Sinn. Was aber, wenn die Schmerzen nicht mehr weg-
liegt die Schmerzwahrnehmung bei den meisten Pro-
gehen, sich verselbständigen und Körper und Geist an
banden im NRS-Bereich 4–5, was eine erstaunlich hohe
die Grenze der Kompensationsfähigkeit führen? Chro-
Übereinstimmung mit elektronischen Druckalgome-
nische Schmerzen sind durch eine pragmatische Min-
tern aus der Schmerzforschung zeigt [2].
destdauer von drei (bis sechs) Monaten definiert. Ge-
Aufgrund der multifaktoriellen Genese und der psy-
mäss einer grossangelegten Schmerzerhebungsstudie
chosozialen Dimension des chronischen Schmerzes,
[1] in 16 europäischen Ländern, unter anderem auch in
ist dieser als eigenständige Krankheit anzuerkennen;
der Schweiz, leiden 16%, also mehr als jeder sechste
der Schmerz selbst als das primäre Problem! Entspre-
Schweizer, unter chronischen Schmerzen. Imposante
chend wird es nie reichen, nur Schmerzmedikamente
40% sind unter 40 Jahre alt. Häufigste Schmerzlokali-
zu geben, vielmehr braucht es eine offene Kommuni-
sation und gleichzeitig auch Spitzenposition im Ar-
kation zwischen Arzt und Patient, die anstelle von
beitsunfähigkeits-Ranking bis zum Alter von 55 ist der
übertriebenen Erwartungen an das neue «Wundermit-
Rücken, danach übernehmen diverse Arthrosebe-
tel», realisierbare Etappenziele beinhaltet und kombi-
schwerden die Führung. In der Altersgruppe 75+ ist die
nierte Therapieansätze bietet (Tab. 1). Um dem Patien-
Schmerzprävalenz bei >60% und steigt erwartungsge-
ten die Zusammenhänge zwischen seinem Schmerz
mäss mit zunehmendem Alter auf Werte >80% an.
und den geplanten Therapieansätzen verständlich zu machen, kann eine angemessene Visualisierung der
Schmerzfreiheit – nicht garantiert!
Beschwerden in Bildern sehr hilfreich sein. Wenn es besser werden soll, ist die proaktive Mitarbeit des Be-
Schmerzwahrnehmung ist immer subjektiv, das Wort
troffenen gefordert, weg vom passiven «Therapieemp-
des Patienten ist der Goldstandard. Hier ist der Einsatz
fänger» hin zum mitbestimmenden Partner. Hier
der NRS zur standardisierten Erfassung der Schmer-
muss der Patient angehalten werden, seine körperliche
zintensität von 0 bis 10 hilfreich. Gelegentlich kann
Aktivität trotz Schmerzen zu steigern, denn Schmerz
aber die geschilderte Schmerzintensität für den Unter-
lähmt! In Aktivitätstagebüchern soll die Leistung fest-
sucher nur schwer nachvollziehbar sein, insbesondere
gehalten werden, was auch für das Selbstbewusstsein
dann, wenn mit einer «belle indifférence» stärkste Schmerzen deklariert werden, die im Widerspruch zur Körpersprache stehen.
Das individuelle Schmerzerleben ist das Endergebnis
Numerische Ratingskala (Schmerzintensität 0–10)
eines komplexen Verarbeitungsmechanismus, der
Mini Mental Status Examination (nach Folstein MF)
letztlich nicht nur von körperlichen, sondern auch von
psychischen und sozialen Faktoren geprägt wird. Allen
Der Artikel basiert auf
Unkenrufen zum Trotz kann beispielsweise mittels
Nicht steroidale Antirheumatika
einem Referat, das im
einer simplen Wäscheklammer eine Schmerzquantifi-
Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme-
Rahmen des KHM-Kongres-
ses 2016 gehalten wurde.
zierung vorgenommen werden, die Hinweise auf das
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Will eine Behandlung chronischer Schmerzen erfolg-
Tabelle 1: Nichtmedikamentöse Schmerzbehandlung.
reich sein, muss sie multimodal erfolgen – psychologi-
Muskelstabilisation durch körperliche Aktivität!
sche und soziale Aspekte mitberücksichtigend. Dass
Umlagerung / Durchbewegen (Physio- und Ergotherapie)
Polypharmazie im Alter eher die Regel als die Aus-
Wärme / Kälte / Wickel / Baden
nahme ist, wirkt sich bei der Medikamentenwahl
Traditionelle Chinesische Medizin (TCM)
zusätzlich erschwerend aus. In Kombination mit ver-
Aktivierungstherapie (Gespräch, Spiel, Musik)
minderter Nieren- und Leberfunktion sind Arznei-
Autogenes Training
mittelinteraktionen und Nebenwirkungen, Über-
Verhaltensanalyse / Psychologische Betreuung
dosierungen und gelegentlich auch die «rettende» Malcompliance die Folge. Konsekutiv empfiehlt sich deshalb als Faustregel, mit halber Erwachsenendosis
förderlich ist. Das Führen von Schmerztagebüchern
zu starten. Das von der WHO in den 80er Jahren entwi-
hingegen begünstigt lediglich die zentral verankerte
ckelte Stufenschema zur Behandlung von chronischen
Fixierung auf den Schmerz.
Schmerzen, war primär auf Tumorpatienten ausge-
Grossartig ist, wenn Schmerzfreiheit erreicht wird,
richtet (Abb. 1). Auch heute noch vermittelt es ein
aber dies kann nicht das primäre Ziel sein; der Mass-
strukturiertes Vorgehen, wenn eine Therapieeskala-
stab für Erfolg ist die gesteigerte Funktion, und dass
tion ansteht, wobei bei Betagten modifiziert vorgegan-
der Schmerz nicht mehr den Alltag dominiert oder
gen werden soll; die niedrig potenten Opioide der
Stufe 2 (Codein, Tramadol u.a.) sind
Prodrugs, die, nur schon um analgetisch aktiv zu werden, Leberleistung fordern. Bei Dosissteigerung zeigen sich die pharma-
Schmerzwahrnehmung bei Demenz
kologischen Nachteile gegenüber hoch potenten Opio-
erschwert
iden, indem früh UAW und Interaktionen auftreten
Bei Demenzkranken kann die Schmerzerfassung zur
können. Reichen also Stufe 1-Medikamente wie Parace-
echten Herausforderung werden, insbesondere, wenn
tamol, NSAR, oder Metamizol nicht aus, sollen bei Be-
die Kommunikation erschwert oder nicht mehr mög-
tagten direkt stark wirksame Stufe 3-Opioide zum Ein-
lich ist (meist ab MMSE <15/30). Mit fortschreitender
Neurodegeneration und konsekutiv abnehmender Neuronendichte sind im elektrischen Leitsystem so-wohl die Schmerztoleranz, als auch die vegetative Schmerzschwelle erhöht. Es wird zwar eine höhere
Stufe 3
Morphin (MST Continus®, Sevre-Long®, Sevredol®)
Reiz intensität benötigt, um Schmerzen auszulösen
Oxycodon (Oxycontin®, Oxynorm® / mit Naloxon: Targin®)
und Blutdruck und Puslfrequenz ansteigen zu lassen
Hydromorphon (Palladon®, Jurnista®)
[3, 4], aber Studiendaten zeigen, Demenzkranke sind
im allgemeinen analgetisch unterversorgt [5]. Durch
Fentanyl (Durogesic®, Effentora®, Actiq®)
Methadon (Ketalgin®)
den kognitiven Abbau kann das gelernte Wissen über
Buprenorphin (Transtec®, Temgesic®, Subutex®)
Körper und Schmerzursache verloren gehen, so dass zum Beispiel trotz schmerzhaft drückendem Schuh
das Gehen fortgesetzt wird. Umso mehr müssen bei
beeinträchtigter Kognition Schmerzen aktiv gesucht
Codein / Dihydrocodein (Codicontin®)
und standardisiert erfasst werden, ist doch der Schmerz bei Demenz nicht selten ein Delir-Promotor,
das Delir als einziges Schmerzsymptom! Hierzu eignen
Paracetamol (Tylenol®, Dafalgan®, Ben-u-ron®, Acetalgin® …)
NSAR (Apranax®, Proxen®…)
sich Beobachtungs-basierte Instrumente, die während
Coxibe (Arcoxia®, Celebrex®)
oder ausserhalb der Pflege Äusserungen, Mimik, Kör-
Metamizol (Novalgin®, Minalgin®…)
perhaltung und Mobilisation als auch vegetative Reak-tionen (Blutdruck, Puls, Atemfrequenz) erfassen.
Koanalgetika (unter Beachtung der Nebenwirkungen
beliebig kombinierbar)
Antidepressiva Antikonvulsiva, Steroide, Bisphosphonate,
(Neuroleptika)
Grundsätze der pharmakologischen
Analgesie
Abbildung 1: WHO-Stufenplan zur Behandlung chronischer
Schmerzen, gültig auch für Nicht-Tumorschmerz.
Die pharmakologische Analgesie ist die häufigste
Koanalgetika und Stufe-1-Medikation können mit allen Stufen
Grundlage einer Schmerztherapie.
kombiniert werden.
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Keiner Stufenleiter unterliegen Koanalgetika wie Anti-
den (anticholinerg, Orthostase, Torsade de pointes etc.),
depressiva, Antikonvulsiva, Kortikosteroide, Bisphos-
können neben den bekannten Antiemetika auch Stero-
phonate u.a. Sie können mit den Medikamenten aller
ide eingesetzt werden. Je nach Guide lines werden Opio-
3 WHO-Stufen kombiniert werden. Wenn auch primär
ide beim neuropathischen Schmerz sogar als Therapie-
für eine andere Indikation vorgesehen, beeinflussen sie
option erster Wahl empfohlen, reduzieren sie doch
die Entstehung und Weiterleitung der Schmerzen und
neurogene Schmerzen mindestens gleich gut wie Trizy-
sind besonders hilfreich bei neuropathischen und on-
klika oder Antikonvulsiva. Der kombinierte Einsatz mit
kologischen Schmerzen (Tab. 2). So ist beispielsweise
entsprechend synergistischer Wirkung macht aber am
die analgetische Wirkung gewisser Trizyklika und SNRI
meisten Sinn und hilft zudem den «analgetischen Gap»
bei Radikulopathien nicht primär durch den antide-
in der Titrationsphase der Antidepressiva und Antikon-
pressiven Effekt vermittelt, da dieser mit und ohne De-
vulsiva zu überbrücken [8, 9].
pression nachweisbar ist [6, 7]. Bei Patienten mit Schlaf-
Bestehen keine Hindernisse, sollen die Analgetika pri-
störungen sollen primär sedierende Antidepressiva
mär per «via naturalis» gegeben werden, was grösst-
(Trizyklika, Mirtazapin, Trazodon), oder auch sedie-
mögliche Unabhängigkeit garantiert. Transdermale
rende Antikonvulsiva, zur Anwendung kommen. Lei-
Systeme (TTS) eignen sich nicht zum Therapiestart, da
det der Patient hingegen unter Apathie und Müdigkeit,
diese erstens 6–12 Stunden für den Aufbau des Hautde-
setzen wir besser aufhellende Substanzen, wie Duloxe-
pots benötigen und so erst deutlich verzögert Wirkung
tin oder Venlafaxin ein. Die Wahl der Koanalgetika
zeigen, zweitens als lipophile Substanzen (im Alter zu-
wird also primär von den störenden Begleitsymptomen
nehmender Anteil an Fettgewebe) akkumulieren und
bestimmt und erfolgt individuell; so kann beispiels-
somit schlecht steuerbar sind. Wird von oraler Applika-
weise bei Schmerzen, begleitet von hartnäckiger Übel-
tion auf TTS gewechselt, soll das orale Analgetikum
keit, ein Neuroleptikum wie Haloperidol zu einer lau-
noch 12(–24) Stunden überlappend zum Patch weiterge-
fenden Opioidtherapie (Neuroleptanalgesie) gleich in
führt werden; vice versa darf die orale Analgesie nach
mehrfacher Hinsicht sinnvoll sein. Neben der antieme-
TTS-Stopp aufgrund des noch wirksamem Hautdepots
tischen Wirkung von Haloperidol (Haldol®) führt das
erst nach 12 Stunden gestartet werden. Der Patch ist bei
Neuroleptikum zu einer Dosiseinsparung bei der Opio-
Betagten eine prinzipiell anspruchsvolle Applikations-
idmedikation. In einer Dosierung von 2–3 × 0,5 mg Hal-
form und muss bei kognitiv eingeschränkten Patien-
dol® pro Tag dient es zudem als Delirprophylaxe; sollte
ten überwacht werden. Eine Analgetikagabe «on de-
sein Risiko-Nutzen-Verhältnis als negativ beurteilt wer-
mand» führt zu keinen stabilen Plasmaspiegeln und vermittelt folglich auch keine konstante Analgesie. Vielmehr fördert sie ein ständig wiederkehrendes Tablettenverlangen bei «Sucht» nach Schmerzfreiheit, weshalb als Basistherapie eine Dauermedikation, mög-
Tabelle 2: Medikamentöse Therapieoption bei neuropathischen Schmerzen.
lichst in retardierter Form und in fixen Intervallen,
Trizyklische Antidepressiva (TZA) NNT 3,6 – NNH 13,4
Amitriptylin (Saroten®,
50–75 mg (100 mg) abends
Orthostase, kg
25–75 mg morgens
Serotonin-Noradrenalin-Reuptakehemmer (SNRI) NNT 6,4 – NNH 11,8
Duloxetin (Cymbalta®)
30–60 mg morgens
Nervosität, BD
Venlafaxin (Efexor®)
37,5–225 mg morgens
Paracetamol
Antikonvulsiva NNT 7 – NNH 13,9
Paracetamol ist das Analgetikum und Antipyretikum
Pregabalin (Lyrica®)
2 x 25/50/75/150 mg (600 mg/d)
der ersten Wahl im Alter, da ein NSAR-Einsatz oft nicht
Gabapentin (Neurontin®)
in Frage kommt; es ist einfach und ohne Rezept erhält-
lich. Es zeigt allerdings keine antiphlogistische Wir-
Carbamazepin (Tegretol®,
2 x 200 / 300 / 400 mg (1,2 g/d)
kung. Paracetamol weist sowohl gastral, kardial, als
auch renal ein gutes Sicherheitsprofil auf und ist bis zu
1. Nachgewiesen wirksam bei neuropathischem Schmerz, je nach Guideline sogar
4 g/d zugelassen. Bei Patienten >75 Jahren steigt jedoch
ab einer Tagesdosis >3 g das Risiko für gastrointesti-
2. Keine Evidenz für unterschiedliche Wirksamkeit verschiedener Opioide in dieser
nale Blutungen an. Die Dosis-Wirkungskurve ist flach,
3. Rasche Wirksamkeit auch in Titrationsphase von Antidepressiva/Antikonvulsiva
weshalb eine Dosissteigerung von 4 × 500 mg auf 4 × 1 g
NNT (Number Needed to Treat) um eine 50%-ige Schmerzreduktion zu erreichen
lediglich einen minimen analgetischen Zuwachs
NNH (Number Needed to Harm) – Anzahl der Patienten, die behandelt werden, bis einer die Therapie wegen Nebenwirkungen abbricht.
bringt. Hingegen erhöht die Kombination mit einem
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Opioid die Wirksamkeit gegenüber Paracetamol oder
intensivierte Wasser- und Salzretention bedingte, er-
Opioid alleine klar [10]. Der Vorteil von Paracetamol ist,
höhte Herzinsuffizienzrate, problematisch und bei
dass keine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz not-
>75-Jährigen generell nicht empfohlen [12]. Bei bekann-
wendig ist. Wichtigste UAW von Paracetamol ist die Le-
ter Herzinsuffizienz sind NSAR folglich gar kontraindi-
bertoxizität, weshalb ab einer Erhöhung der Transami-
ziert [13]. Wenngleich bisher zu wenig beachtet, gehen
nasen über die dreifache Norm eine Dosishalbierung
Coxibe und alle NSAR mit einem erhöhten kardiovas-
und weitere Kontrollen erfolgen müssen.
kulären Risiko einher [14]. Eine grosse Ausnahme ist Naproxen (Apranax®, Proxen®). Wegen seiner Aspirin®-
Cyclooxygenasehemmer: NSAR und Coxibe
ähnlichen Wirkung wird somit Naproxen als das zu be-
NSAR sind potente Analgetika, wie ihre
Number Needed
vorzugende nichtselektive NSAR bei kardiovaskulären
to Treat (NNT) zeigt: Lediglich knapp 2,5 Patienten
Risikopatienten empfohlen; erstaunlicherweise aber
müssen mit NSAR behandelt werden, um eine 50%ige
nur selten umgesetzt. Die allgemein bekannte gastro-
Schmerzreduktion zu erzielen, was für ihre effektive
intestinale Toxizität nicht selektiver NSAR lässt sich in
analgetische, antipyretische und antiphlogistische
Kombination mit einem Protonenpumpeninhibitor
Wirkung spricht [11]. Speziell bei osteodegenerativen
(PPI) auf das Niveau der deutlich besser verträglichen
und rheumatischen Schmerzursachen, Gicht oder post-
Coxibe halbieren. Insbesondere Etoricoxib (Arcoxia®)
operativen Schmerz- und Entzündungszuständen wie
hat in einer kürzlich im
Lancet veröffentlichen Studie
auch bei Zahnschmerzen, wäre diese Substanzklasse
bei osteodegenerativen Schmerzen wegen Hüft- und
sehr nutzbringend. Leider haben die nichtselektiven
Kniearthrose auch bezüglich Verträglichkeit sehr gut
NSAR, mehr noch als die selektiven Cyclooxygenase-
abgeschnitten [15]. Im Gegensatz zu gewissen nicht se-
2-Hemmer (Celecoxib, Etoricoxib), zahlreiche uner-
lektiven NSAR haben die Coxibe keine Wirkung auf die
wünschte Wirkungen. So ist ihr Einsatz wegen
Plättchenaggregation. Dennoch wird wegen gehäuft
Niereninsuffizienz, gastrointestinalen Blutungen, hy-
auftretenden Blutungskomplikationen von einer Kom-
pertensiver Wirkung (+5 mm Hg), wie auch durch die
bination mit oralen Antikoagulantien abgeraten.
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Generell ist somit im Alter bei toxischem Nebenwir-
Schmerzpatienten [21]. Die irrige Annahme, Opiate
kungsprofil der NSAR nur ein kurzzeitiger Einsatz ak-
kommen lediglich bei «Totgeweihten» zum Einsatz,
zeptabel, wenn überhaupt.
gehört der Vergangenheit an, vielmehr geht der Trend heute in Richtung «Opiophilie», auch bei nicht Tumor-
Metamizol
bedingten Schmerzen. Opioide sind jedoch nicht für
Die analgetische Wirkstärke von Metamizol ist ver-
alle Schmerzsyndrome geeignet, insbesondere bei
gleichbar mit NSAR oder schwachen Opioiden [16]. Zu-
funktionellem Ursprung, Reizdarm, Fibromyalgie,
sätzlich wirkt es gut antipyretisch und spasmolytisch,
Kopfschmerzen oder Schleudertrauma sollten sie ge-
weshalb seine Hauptindikation die febrile Kolik ist.
mieden werden. Ist die Indikation hingegen gegeben,
Zwischen 2000 und 2010 ist der Verbrauch von Noval-
soll mit einem potenten Opioid ein individueller The-
gin® um das Achtfache gestiegen! Metamizol weist
rapieversuch über 4–12 Wochen gestartet werden, kom-
weder relevante renale, kardiale, noch gastrointesti-
biniert mit nichtmedikamentösen Massnahmen und
nale Nebenwirkungen auf. Gefürchtet werden primär
messbarer, funktioneller Zielvorgabe. Die Basis bildet
die Agranulozytose und bei parenteralen Applikation
ein Opioid in retardierter Form zweimal täglich. Zu-
gelegentlich auftretende, anaphylaktische Reaktionen.
sätzlich werden 10% der Basisdosis als schnell wirk-
Die Letalität aufgrund einer Agranulozytose lag in
same Reservedosis verschrieben, die nach Bedarf bis
einer schwedischen Studie zwischen 1966 und 1972 bei
stündlich (!) gegeben werden darf (Tab. 3). Eine klare
knapp 30% noch sehr hoch [17]. Heute liegt die Mortali-
Überlegenheit bestimmter Präparate existiert nicht,
tät tiefer als 0,01:1000 Anwendungen/Jahr. So wurden
Grundsatz aber muss sein: Tiefe Startdosis (halbe Do-
in den letzten 21 Jahren noch 7 Todesfälle wegen
sis!), retardierte Basismedikation, und beim neuropa-
Metamizol-assoziierter Agranulozytose registriert [18].
thischen Schmerz ein früher symptom-orientierter
Kurzum: Das Risiko an einer durch Metamizol verur-
Einsatz von Koanalgetika, zwecks Dosiseinsparung bei
sachten Agranulozytose zu sterben ist geringer als das
Risiko, ein tödliches kardiales Ereignis unter NSAR zu erleiden. Trotz Marktverbots in England, Schweden und den USA hat es dort den Weg in zahlreiche Haus-
Tabelle 3: Opioidtherapie: Start und Dosistitration.
apotheken gefunden [19].
Therapie beispielsweise mit:
– Hydromorphon Ret Kps 4 mg
– Tapentadol Ret Tbl 50 mg
Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei den schwa-
– Oxycodon Ret Tbl 5 mg
chen Opioiden der Stufe 2 (Codein, Tramadol, Tilidin)
10–(15%) der Fix-Tagesdosis wird als Reservedosis in Form
von schnellwirksamem Opioid verschrieben. Gabe bei Bedarf
um
Prodrugs mit hohem Interaktionspotential und
bis stündlich.
Akkumulationsgefahr bei Niereninsuffizienz. Zwar hat
nach 48–72 h neue Tagesdosis berechnen (Basisdosis plus
Codein einen guten antitussiven Effekt, wird aber in
Reservedosis) und Reservedosis neu anpassen!
der Leber zu aktivem Morphin demethyliert. Auch Tili-
Obgenannte Substanzbeispiele liegen sowohl in schnellwirksamer, als auch in retardierter Form vor, was eine lineare Dosistitration erlaubt.
din und Tramadol sind, wollen sie wirksam werden, von einer intakten Lebefunktion abhängig. Tramadol ist zudem ein SNRI und kann daher Myoklonien und Krampfanfälle im Rahmen eines Serotonin-Syndroms auslösen. Der zentral serotonerge Effekt von Tramadol
Starke Opioide im Alter – was gilt es zu
ist auch für die im Vergleich zu anderen Opioiden aus-
beachten?
geprägte Nausea verantwortlich [20]. Im Wissen, dass im Alter die Nebenwirkungen der sogenannt «schwa-
Trotz, im Vergleich zu anderen Analgetika, kaum
chen» Opioide meist stärker sind als deren therapeuti-
vorliegender Organtoxizität, zeigen Opioide häufig
scher Nutzen, sollten möglichst früh starke Opioide
unerwünschte Wirkungen, wie Sedation, selten Atem-
der Stufe 3 eingesetzt werden, allenfalls unter Umge-
depression, Delir und Stürze. Nausea, ein erbarmungs-
hung der Stufe 2-Medikamente.
loser Compliance-Killer, tritt bei gut einem Drittel der Patienten bei Therapiestart auf. Glücklicherweise ist
die Nausea oft selbstlimitiert nach drei bis fünf Tagen
Weltweit hat der Opioidverbrauch zugenommen, in
und soll antiemetisch angegangen werden, wobei die
der Schweiz hat er sich in den letzten zehn Jahren ver-
beste Nausea-Prophylaxe in einer langsamen Dosis-
vierfacht. In Deutschland erfolgten >70% der Opioid-
titration besteht [22]. Die spastische Obstipation hinge-
verordnungen an chronisch nicht tumorbedingte
gen zeigt keine Toleranz und muss obligat mit Laxan-
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tien, am sinnvollsten mit einem osmotisch wirksamen
Reuptake-Hemmer kombiniert. Tapentadol liegt so-
Makrogolpräparat, behandelt werden. Weniger geeig-
wohl in retardierter als auch in Immediate- Release-
net ist Paraffin (Paragar®, Paragol®), das die Resorption
der Vitamine A, D, E, und K behindert. Im Kombinati-
Ausser Buprenorphin werden nahezu alle Opioide un-
onspräparat Targin® blockiert der Opioidantagonist
ter Dialyse entfernt; will man Schmerzexazerbationen
Naloxon die Opiatrezeptoren im Darm, vermindert so
während der Dialyse verhindern, sollte als Mittel der
ein Andocken von Oxycodon im Darm und senkt da-
Wahl Buprenorphin bei Dialysepatienten eingesetzt
durch die Obstipationsrate. Normalerweise wird Nalo-
werden, das auch wegen seiner stabilen Rezeptorbin-
xon nach oraler Gabe durch den First-Pass-Metabolis-
dung, ähnlich dem Methadon, eine konstante Analge-
mus eliminiert; bei Leberinsuffizienz (Stauungsleber,
sie vermittelt. Da Buprenorphin lediglich ein partieller
Polypharmazie, Infekt etc.) ist dies nicht der Fall, das
Agonist ist, sollten beim Einsatz von Transtec® optima-
heisst Naloxon gelangt in den Kreislauf und antagoni-
lerweise als schnell wirksame Reserve nicht volle
siert Oxycodon am Rezeptor. Somit sollte bei Leberin-
Agonisten wie Morphin oder Oxycodon, zum Einsatz
suffizienz besser auf Hydromorphon gewechselt wer-
kommen, sondern Temgesic®.
den, das Zytochrom-P-450-unabhängig metabolisiert
Unter den starken Opioiden bilden neben Buprenor-
wird, keine aktiven Metabolite bildet und selbst bei
phin und Hydromorphon auch Tapentadol, Fentanyl
Niereninsuffizienz als «sicher» gilt [23, 24]. Bei schwe-
und Methadon keine aktiven Metabolite, was gegen-
rer Niereninsuffizienz allerdings kann es in glukuroni-
über Oxycodon und Morphin ein klarer Vorteil ist.
dierter Form akkumulieren, weshalb dann eine Dosis-
Morphin-6-Glukuronid, wie auch der Metabolit von
anpassung erfolgen muss. Hydromorphon ist in der
Oxycodon, akkumulieren bei Niereninsuffizienz und
Akutgeriatrie das bevorzugte Opioid! Da der betagte
führen zu Emesis, Sedation und Atemdepression.
Patient meist eine gemischte Schmerzqualität (nozi-zeptiv und neurogen) aufweist, bietet sich beinahe
schon massgeschneidert Tapentadol (Palexia®) als gut verträgliches, atypisches Opioid an, das im selben
Bei anhaltender Nausea, Sedation, oder wenn bei kont-
Molekül ein potentes Opioid mit einem Noradrenalin-
rollierter Schmerzsituation die Schmerzen plötzlich wieder kommen, kann eine Opioidrotation hilfreich sein (Tab. 4). Nicht selten kommt es auch mit zuneh-mender Therapiedauer zu einem graduellen Wirkver-lust, der eine Dosissteigerung nötig macht, um eine suffiziente Analgesie aufrechtzuerhalten [25]. Dieser
Tabelle 4: Opioidrotation (WHO-Stufen-gerecht).
«Toleranz» (Tachyphylaxie) kann mithilfe eines Wech-
sels (Switch) zwischen zwei geeigneten Opioiden, alle
Ungenügende Schmerzkontrolle (nach Dosistitration)
vier bis sechs Monate «hin und her», erfolgreich begeg-
Intolerable (dosislimitierende) Nebenwirkungen:
net werden. Weil die Empfindlichkeit der Opiatrezepto-
– anhaltende Übelkeit (>7 Tage nach letzter Dosis)
ren
gegenüber dem neuen Opioid, bei unterschiedli-
chem Bindungsmuster, erhöht wird, muss beim neuen
Opioid eine 30–50%ige Dosisreduktion vorgenommen
– Sedation, Atemdepression
werden (Tab. 4).
Neu aufgetretene Leber- und NiereninsuffizienzToleranz (kontrollierte Schmerzen exazerbieren wieder)
Mit jeder Dosis mehr Schmerzen!
Beispiel für Opioidrotation
1.
Berechnung der letzten Tagesdosis
Ähnlich wie bei der Toleranzentwicklung sinkt die
(Basisdosis, in retardierter Form und Reservedosis)
Schmerzschwelle auch bei der opiatinduzierten Hyper-
Ermitteln der Opioid-Äquivalenzdosis des neuen Opioids
algesie (OIH) ab. Während aber bei der Toleranzent-
Dosisreduktion beim neuen Opioid um 30% (–50%)
wicklung eine Dosissteigerung die Wirkung verbes-
– 10 (–15%) der Tagesdosis wird als Reservedosis verschrieben
– kann «nach Bedarf» bis stündlich verabreicht werden
sert, verursacht sie bei der OIH eine Verschlechterung der Analgesie, weshalb durch immer häufiger verab-
Basisdosis MST Continus® 30 mg 1-0-0-1
reichte Reservedosen der Circulus vitiosus noch ange-
Reserve: Morphin Tropfenlösung (2%) 6 Trpf (= 6 mg) n. B. bis stündlich
heizt wird. Hier hilft nur die Dosisreduktion, resp. der
Basis 60 mg + Reserve: 5 Dosen à 6 mg = 90 mg Morphin (TD)
Opiatentzug, und wegen vermehrter Freisetzung von
Hydromorphon 18 mg (= Morphin 90 mg) minus 30–50% (6–9 mg)
Hydromorphon 9 mg als Basis: Palladon Ret Kps® 4 mg 1-0-0-1
Glutamat, allenfalls der Einsatz von Ketamin, einem
Reserve: Palladon Kps® 1,3 mg nach Bedarf: bis stündlich
stabilen Anelgetikum und Glutamatrezeptorantago-
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nisten. Leider wird die OIH oft erst «in extremis» diag-
«kein Reiz – kein Schmerz» geht so nicht auf, was nur
nostiziert [26, 27].
schon am Beispiel Phantomschmerz belegt wird. Zent-
Zu guter Letzt seien auch die topischen Massnahmen,
ral ist die Kommunikation zwischen Arzt und Patient,
speziell bei neuropathischem Schmerz, erwähnt. Be-
dem es oft unmöglich erscheint, die Dimension seines
währt haben sich das 5% Lidocainpflaster oder mehr-
Schmerzerlebens überhaupt in Worte zu fassen.
fach tägliches Auftragen von Capsaicin-Crème, einem
Schmerz bleibt ein vielschichtiges Problem, packen
Vanilloid-Schmerzrezeptor-Agonisten aus gemahle-
nem Chili, der einen reversiblen Funktionsverlust nozizeptiver Afferenzen bewirkt. Im floriden Stadium eines Herpes Zoster helfen Gerbstoffe wie Tannosynt®, oder die ehemals rosa, jetzt weisse Schüttelmixtur aus Zink, Talk und Glycerin. Ihre entzündungshemmende, austrocknende und antipruriginöse Wirkung be-
Hinweis
Zur Schmerzmedikation ist in dieser Zeitschrift auch erschienen:
schleunigt den Heilungsprozess und wirkt lokal er-
Neuner-Jehle S. Zehn Tipps für eine erfolgreiche Schmerztherapie in
der Praxis. PrimaryCare. 2014;14(15):243–4.
Bildnachweis
Laokoon-Gruppe. Marmor, Nachbildung aus hellenistischem Original
«Reissen Sie sich doch ein bisschen
von 200 v.Chr., gefunden in den Trajan-Thermen in Rom im Jahr 1507.
Dr. med. Dieter Breil
zusammen!»
Marie-Lan Nguyen, Wikimedia Commons.
Universitäre Altersmedizin Felix Platter-Spital
Solche, oder ähnliche Aufforderungen sind bei chroni-
Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie als Anhang des
schen Schmerzen wenig zielführend. Die Gleichung
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LITERATUR / RÉFÉRENCES Online Only
Literatur / Références
12. American Geriatrics Society AGS. Pharmaclogical
Breivik H, Collett B, Ventafritta V, Cohen R,
management of persistant pain in older persons. J
Gallacher D. Survey of chronic pain in Europe:
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Source: http://doi.emh.ch/pc-d.2016.01344
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Alastair Baker 9/7/2013 Investigation and treatment of liver disease with acute onset – Local hospital protocol Defined as EITHER sudden onset of jaundice with evidence of liver aetiology OR incidental discovery of raised transaminases in association with symptoms suggesting acute onset Age of onset >3 months