Untitled
stehen wir in
einem ständigen
Wettbewerb
mit Asien und
Amerika. Unsere
Innovationskraft
sehen wir als
Andreas Gerstenmayer, AT&S-CEO
Das vernetzte BUSINESS
Forschung schafft Wohlstand: Rund eine Milliarde Euro investieren
steirische Industriebetriebe jährlich in F&E-Aktivitäten. Wie die
Vernetzung aus Wissenschaft und Wirtschaft wirklich funktioniert und
wie aus einer Laboridee ein Produkt für den Weltmarkt entsteht.
Text: Wolfgang Schober
Es muss ja nicht gleich das berühmte Viagra die Qualität und die Haltbarkeit der Präparate und
sein. Auch dieses ließe sich mit einem weite-
ermöglicht auf der verfahrenstechnischen Seite
ren Wirkstoff – etwa einem Blutdrucksenker
auch die Produktion größerer Mengen", erläutert
– kombinieren, zu einer Zwei-in-eins-Tablette ver-
Projektleiter Stephan Sacher. Nach dreijähriger
kleben und somit benutzerfreundlich einnehmen.
Forschungsarbeit wurde ein Patent angemeldet,
Wie gesagt: Technisch möglich, aber nicht die erste
auch eine prototypische Versuchsanlage zur Ver-
Anwendung, die Thomas Klein und Stephan Sa-
klebung der „Sandwich-Tabletten" gibt es bereits.
cher vom Grazer RCPE (Research Center for Phar-
„Damit haben wir alle pharmazeutischen und
maceutical Engineering) im Sinn haben, wenn sie
verfahrenstechnischen Grundlagen geliefert. Als
an Beispiele für sogenannte Multi-Layer-Tabletten
Forschungseinrichtung war für uns an diesem
denken. Multiwirkstoffpräparate also, die – wie
Punkt der Entwicklung aber Schluss", erklärt Tho-
der Name verrät – unterschiedliche Wirkstoffe in
mas Klein. Ein Partner war gefragt, der die wis-
Mit einer F&E-Quote
mehreren Schichten auf einer Tablette vereinen.
senschaftliche Steilvorlage verwertet. Ein Indus-
von 4,3 % verfügt die
Der Vorteil: Der Patient schluckt eine Kombi-Ta-
triebetrieb an der Schnittstelle von Wissenschaft
Steiermark über die
blette, statt mehrere Einzelpillen einzunehmen
und Wirtschaft, der die Produktentwicklung zu
und erspart sich Stress mit Reihenfolge, Einnah-
Serienreife und Marktfähigkeit vorantreibt. Am
quote Österreichs
meintervall & Co. Gerade in einer älter werdenden
Rande einer Business-Veranstaltung kam Klein
und rangiert hinter
Gesellschaft ein zunehmend wichtiges Thema. In
mit Herbert Ritter vom Grambacher Automati-
bislang angewandten Verfahren wurden die Wirk-
onsspezialisten M&R ins Gespräch. Kurz darauf
an 2. Stelle in Europa.
stoffe zur Herstellung von Multi-Layer-Tabletten
war die Kooperation unter Dach und Fach – M&R
71 % der 1,5 Milli-
verpresst. Eine Methode, die schwere Nachteile
entwickelt einen serienreifen Automaten zur Ver-
mit sich bringt, bestätigt RCPE-Geschäftsführer
klebung von Multi-Layer-Tabletten und wird ihn
ausgaben stammen
von der steirischen
auch vermarkten. Für beide Projektpartner eine
Industrie. 22 von 50
„Das Verfahren produziert hohe Ausschüsse
große Chance. Für das RCPE ist es das erste Pa-
Kompetenzzentren in
und kann nicht verhindern, dass die unterschied-
tent, das im Rahmen eines Lizenzvertrags im gro-
Österreich sind in der
lichen Wirkstoffe einander beeinflussen." Einem
ßen Stil vermarktet wird. Für M&R wiederum,
Forscherteam unter des Leitung des wissenschaft-
einen hochspezialisierten Einzelfertiger für un-
delt. Über 50 Prozent
lichen Geschäftsführers Johannes Khinast gelang
terschiedliche Industrien, bietet der Auftrag die
aller technischen
nun am RCPE die wissenschaftliche Sensation:
Möglichkeit, erstmals eine Kleinserienproduktion
Wissenschafter in
die Entwicklung eines neuen Verfahrens, das die
in einem Nischenmarkt zu starten. „Bis-
Österreich arbeiten in
einzelnen Wirkstoff-Schichten nicht verpresst, lang produzierten wir ausschließlich kun-
Fotos: RCPE, Oliver W
sondern miteinander verklebt. „Das verbessert denspezifische Anlagen, jeder Auftrag ein
Tablette der Zukunft: Durch die Kooperation von RCPE und M+R können Multi-Layer-Tabletten wie diese schon bald industriell hergestellt werden.
Einzelstück. Eine Kleinserienprodukti-
aus. In spätestens zwei Jahren, so Sacher, werde
on dieses Automaten spart Engineering-
man damit auf den Markt gehen. Abnehmer sind
Ressourcen und ermöglicht uns schnel-
die großen Pharma-Firmen weltweit, die mit dem
leres Wachstum", erklärt Herbert Ritter, der die
steirischen Automaten Multi-Layer-Tabletten pro-
Wichtigkeit der Zusammenarbeit von Forschung
duzieren werden. „Wegen der einfacheren Zulas-
und Industrie betont. „Wir stecken selbst bis 15 %
sungen werden dies zu Beginn Vitaminpräparate
des Umsatzes in unsere F&E-Aktivitäten, haben
und Nahrungsergänzungsmittel sein. Der Markt
aber natürlich keine unbe-
dafür ist riesig", bestätigen Klein und Ritter.
schränkten Ressourcen und
Ein typisches Beispiel für den gelungenen Tech-
sind dadurch auf Kooperati-
nologietransfer und die engmaschige Verflechtung
onen wie diese angewiesen."
von Wissenschaft und Wirtschaft in der Steier-
Denn, so Ritter, die Ansprü-
mark. Eine ausgeprägte Hochschullandschaft mit
che des Marktes steigen fünf Universitäten und zwei Fachhochschulen trifft ständig: „Wir sind nun mal
hierzulande auf eine Reihe forschungsintensiver
kein Billiglohnland und le-
Leitbetriebe. 4,3 Prozent beträgt die F&E-Quote in
ben von Innovationen." Zur
der Steiermark und rangiert damit im europäischen
Innovation verdammt gewis-
Spitzenfeld. Mit Investitionen von rund 1 Milliarde
sermaßen. „Das Tolle an dem
Euro kommt die Industrie für mehr als 70 Prozent
Projekt ist, dass hier zwei
der F&E-Ausgaben auf. „Der hohe Anteil der Un-
Partner, die keine Großkon-
ternehmensforschung zeigt die hohe Kompetenz
Als Forschungseinrichtung ist
zerne sind, gemeinsam et-
und Bedeutung der Leistung aus der Steiermark für
für uns nach dem Prototypenbau
was initiieren und umsetzen,
die Wirtschaft", betont Stefan Rohringer, Entwick-
Schluss, dann braucht es einen
das sich weltweit vermarkten
lungschef der Infineon AG in Graz sowie Leiter des
Partner aus der Industrie."
lässt und sicher auch nicht so
Industrieforums F&E, einer Netzwerkplattform der
einfach kopierbar ist." Zum
Forschungsleiter der steirischen Industrie.
RCPE-GF Thomas Klein (l.) und
Projektleiter Stephan Sacher
Wohle der Wertschöpfung
Jeder zweite Wissenschafter in technischen
und der Arbeitsplätze im Fächern arbeitet in der Steiermark, die sich somit
Land. Drei unterschiedliche Systeme des Tablet-
zurecht als „Land der Ingenieure" bezeichnen darf.
ten-Automaten stünden zur Auswahl, so M+R-Pro-
22 der 50 Kompetenzzentren in Österreich befinden
jektleiter Christian Amon. „Ein sogenanntes Re-
sich in der Steiermark und sichern als Kraftkam-
volver-System wird derzeit präferiert." Es erlaubt
mern der Innovation die Wettbewerbsfähigkeit der
einen Durchsatz von mehreren Hunderttausend
heimischen Betriebe. Diese Dichte ist alles andere
Tabletten pro Stunde. Der Businessplan geht von
als Zufall. „In der Steiermark gingen wir schon
einem geschätzten Absatz von mehr als 100 Stück
sehr früh den Weg der Kooperation", meint Josef
BUSINESS
Die enge Kooperation von AVL List mit dem Kompetenzzentrum Virtual Vehicle erlaubt
risikobehaftete Grundlagenforschungen, die thematisch weit in die Zukunft reichen.
Affenzeller, Forschungskoordinator bei AVL List,
stützt sich auf Ergebnisse der vorwettbewerb-
ein wichtiger Industriepartner des K2-Komp-
lichen Forschung." Gerade mit der TU Graz im
tenzzentrums Virtual Vehicle. „Zusammenarbeit
Hintergrund entsteht in diesem Austausch For-
zwischen Forschungseinrichtungen und zwischen
schung auf Weltniveau und hilft auch der AVL List,
Wirtschaft und Wissenschaft hat in der Steier-
ihre internationale Spitzenposition zu halten. Die
mark lange Tradition. Die Erfolge heute basieren
Forschungsfelder, in denen der Grazer Motoren-
auf Wissen und Vertrauen." Die altsteirische Tu-
und Prüfstandentwickler am häufigsten mit dem
gend des „Miteinander Redens" als Grund-Asset
Virtual Vehicle zusammenarbeitet, betreffen die
für Innovationsleistungen. „Bei uns läuft ein For-
Bereiche Systemintegration, Elektronik & Soft-
schungsauftrag ja nicht so ab, dass wir zu Pro-
ware, Noise, Vibration & Harshness (NVH) sowie
jektende einen Report bekommen und dazwischen
Thermo & Fluid Dynamics. „Gerade der Bereich
passiert nichts", erklärt der Forschungsexperte.
Elektronik und Software wird künftig eine immer
Das Gegenteil sei der Fall. „Während der Projekt-
zentralere Bedeutung im Fahrzeugbau haben, ein
phase gibt es einen permanenten Austausch, es
Drittel der Wertschöpfung eines Fahrzeugs wird
finden laufend Gespräche statt zwischen den be-
schon bald auf diesen Bereich entfallen."
teiligten Köpfen – auch dadurch entsteht Know-
Wie wesentlich Innovation als Standortfak-
how." Den Hauptnutzen an Kompetenzzentren tor mittlerweile ist, weiß auch Infineon-Entwick-erklärt Affenzeller so: „Dadurch wird es für uns
lungschef Stefan Rohringer und schildert ein
möglich, Forschungsthemen zu behandeln, die Beispiel aus der Praxis: „Vor einigen Jahren wa-weit in die Zukunft reichen und somit risikobehaf-
ren wir bei einer Ausschreibung für einen neuen
tet sind. Auch ein forschungsintensives Unterneh-
Chip für Automatikgetriebe
men wie wir könnte die Vielzahl der notwendigen
leider nicht erfolgreich und
Aktionen nicht schaffen."
ein Mitbewerber bekam den
Der enge Kontakt zu Universitäten und zu an-
Auftrag. Ein kleines Team in
Wie haben keine unendlichen
deren internationalen Forschungseinrichtungen unserem Entwicklungszen-
Ressourcen für F&E und sind auf
ermögliche auch das frühzeitige Aufspüren künf-
trum hat unmittelbar danach
Kooperationen wie diese angewiesen."
tiger Trends. Ob neue Simulations-Tools in der
überlegt, womit wir beim
M+R-Chef Herbert Ritter (o.) und
Fahrzeugentwicklung oder ein neuer Ansatz bei
nächsten Mal erfolgreich sein
Projektleiter Christian Amon
der Entwicklung leistungsfähiger Autobatterien
könnten, was kein anderer an-
– die Erkenntnisse der Grundlagenforschung lie-
zubieten imstande ist. Daraus entstand ein völlig
fern die Basis für den Erfolgsschlüssel am Markt:
neues Konzept, das bisher unverrückbare Gren-
die Innovation. „Die Produktentwicklung, die zen überwunden hat. Mittlerweile befin-Entwicklung eines marktfähigen Produkts, wird
det sich der Baustein bei unseren Kunden
weiterhin im Unternehmen stattfinden, aber sie
unmittelbar vor der Serienreife."
„Die AVL braucht die
Grund lagenforschung, um auf deren Basis Innovationen für den Markt entwickeln zu können."
Mehr als die Hälfte aller technischen Wissenschafter Österreichs arbeitet in der Steiermark.
Josef A≠enzeller, Forschungs -
koordinator AVL List
Ähnliches gilt auch für den Lei-
Herausforderung für die heimische F&E-
terplattenhersteller AT&S mit Sitz
Landschaft sehen sowohl Gerstenmayer als
in Leoben. Vorstandsvorsitzender auch Rohringer in der mangelnden „Aware-
mayer, gleichzeitig Vorsit-
ness", im gering ausgeprägten Forschungsbe-
zender des Forschungsrats Steiermark: „Wir
wusstsein der Bevölkerung. Rohringer: „Das
haben in der Leiterplattenindustrie eine Image der Industrie und die Stärke der Stei-Weltmarktstellung. Diese erfolgreiche Posi-
ermark als Forschungs- und Technologieland
tionierung haben wir permanenter Innova-
ist in der Bevölkerung viel zu wenig präsent.
tion, der ständigen Weiterentwicklung der
Darin liegt wahrscheinlich auch ein Teil des
Produkte und der erfolgreichen Platzierung
Problems des zu geringen Nachwuchses in
auf dem Markt zu verdanken. Unsere Innova-
den technischen Disziplinen. Hier gibt es
tionskraft sehen wir als einen wesentlichen
noch großes Potenzial – ich denke dabei vor
Wettbewerbsvorteil an. Technologisch ste-
allem daran, junge Frauen für Technik zu be-
Es ist notwendig, sich ständig
hen wir in unserer Branche in einem stän-
geistern – aber auch eine Problemzone: Denn
mit den Besten zu messen. Ziel muss digen Wettbewerb mit Asien und Amerika."
wir haben zukunftsträchtige Themen in der
Insgesamt sieht Gerstenmayer den F&E-
Steiermark angesiedelt, bloß ohne kompe-
sein, internationale Aufmerksamkeit
Standort Steiermark gut aufgestellt. „Wie die
tente Forscherinnen und Forscher werden
und Anerkennung zu erzielen."
Arbeit an der aktuellen Forschungsstrategie
wir sie nicht auf Dauer halten können." Ger-
Andreas Gerstenmayer, AT&S-CEO und
für die Steiermark gezeigt hat, decken die
stenmayer: „Der Forschungsrat Steiermark
steirischen Hochschulen beinahe den ge-
hat dieses Phänomen in seiner ersten Periode
samten Disziplinenkanon ab. Darüber hinaus
erkannt und musste feststellen, dass es kein
verfügt die Steiermark mit der JOANNEUM
„Patentrezept" zur Lösung gibt. Insgesamt
RESEARCH über eine sehr gut positionierte
wollen wir in naher Zukunft aktiv in die Lö-
und international vernetzte landeseigene For-
sungsdiskussion einsteigen und auch an die
schungsgesellschaft." Im gemeinsamen Erar-
Öffentlichkeit treten. Vielleicht kann auf die-
beitungsprozess konnten fünf Stärkefelder sem Weg einer Lösung auf die Sprünge ge-identifiziert werden: Energie & Ressourcen,
Nachhaltigkeit – Mobilität – Informations-
„Wir dürfen uns auf keinen Fall mit
gesellschaft – Gesundheit & Biotechnologie
dem Erreichten zufriedengeben und nur das
– Materialien. „Nachdem sich die wissen-
fortschreiben, was wir bisher erfolgreich an-
schaftlichen Stärkefelder beinahe punktgenau
gewandt haben – das ist sicher zu wenig",
mit den Leitthemen der Wirtschaftsstrategie
mahnt Stefan Rohringer. „Einige internationa-
2020 decken, sehe ich den Wissenschafts-
le Indikatoren zeigen ja leider auch schon für
Die Steiermark hat viel er-
standort Steiermark sehr gut positioniert. Es
Österreich eine Verschlechterung im Bereich
reicht, aber darf sich keinesfalls mit ist allerdings notwendig, sich ständig mit den der Innovation. Die Gründe sind hinlänglich dem Erreichten zufriedengeben."
Besten zu messen. Das Ziel der Aktivitäten
bekannt – und reichen vom Bildungs-
Stefan Rohringer, Vice President
muss es sein, internationale Aufmerksamkeit
system bis zum unterentwickelten
der Infineon AG Graz,
und Anerkennung zu erreichen." Die größte
Sprecher des Industrieforums F&E
Source: http://www.forschungsrat.steiermark.at/cms/dokumente/11959978_105127463/738afa2e/04.pdf
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