Patientenstelle.ch
«…auf das Wohlwollen
der Pharmaindustrie
angewiesen»Ein Gespräch über Transparenz in der Forschung
Welche Fragestellungen über-
Ruedi Spöndlin: Was gibt es an der
haupt untersucht und welche
Transparenz der Forschung zu kritisie-
Unsere Gesprächspartner
Studienergebnisse veröffentlicht
werden, hängt zu stark von den
Jose Xavier Girau: Problematisch ist
Jose Xavier Girau,
oft schon die Richtung der Forschung,
Biologe, Chef der Informatik am De-
Interessen kommerzieller Auf-
partement für Biomedizin Haus Mat-
die Auswahl der Fragestellungen, die er-
traggeber ab. Hier ein Gespräch,
tenstrasse der Universität Basel, Prä-
forscht werden. Viele Forschende sind
das die Missstände benennt und
sident der Sachgruppe Gesundheit der
aber aus finanziellen Gründen gezwun-
gen, einen bestimmten Forschungsauf-
trag anzunehmen. Manche nehmen
auch etwas unreflektiert Forschungs-
Dr. med., FMH Innere Medizin, Haus-
arzt in Basel, Redaktionsgruppe So-
Gesprächsleitung und
ziale Medizin.
redaktionelle Bearbeitung:
Erika Ziltener: Weshalb sind sie denn
dazu gezwungen? Oft habe ich den Ein-
Präsidentin des Dachverbands
druck, Zwang wird als Ausrede dafür
Schweizerischer Patientenstellen und
benutzt, nicht kritisch nachzufragen
SP-Kantonsrätin in Zürich, Redak-
oder anderweitig Gelder aufzutreiben.
tionsgruppe Soziale Medizin (Erika Ziltener konnte aus zeitlichen Gründen
Spöndlin: Kommt es auch vor, dass un-
nicht direkt am Gespräch teilnehmen;
erwünschte Forschungsergebnisse nicht
sie hat ihre Aussagen nachträglich an-
publiziert werden?
gebracht, so dass die anderen zwei Ge-
Girau: Ein weiteres Problem ist tat-
sprächsteilnehmer nicht mehr darauf
sächlich, dass viele Forschungsergebnis-
reagieren konnten).
se nicht so publiziert werden, wie sie es eigentlich sollten. Es gibt viele Beispiele, wo Forschungsergebnisse so interpre-tiert wurden, dass sie eher in die Ver-kaufsstrategie der pharmazeutischen
schung oft unterbleibt, weil es sich für
Industrie passten statt den Patienten
die Pharmaindustrie gar nicht lohnt,
nützten. Ein Beispiel hierfür wäre Ta-
dazu Medikamente zu entwickeln. Ein
miflu. Die andere Seite ist, dass For-
Beispiel ist die Erforschung und Zulas-
24 soziale medizin / 3.11
dossier s pharma
gar nicht zur Zulassung bei Swissmedic eingereicht. Dabei appellierte Swissme-dic immer wieder an die pharmazeuti-sche Industrie, die Zulassung für bereits im Ausland zugelassene Medikamente auch hier in der Schweiz zu beantragen (http://www.swissmedic.ch/zulassun-gen/).
Ziltener: Unerwünschte Forschungs-ergebnisse nicht zu publizieren, scheint mir eines der grössten Probleme zu sein. Einerseits verschwinden heute Studien mit unterwünschten Resultaten unbe-merkt in der Schublade. Oder die Re-sultate haben keine Konsequenzen. So-wohl eine Studie zu Hormonersatzthe-rapie (USA) wie auch zu Vioxx zeigten gravierende Nebenwirkungen, ohne dass vorerst Konsequenzen gezogen wurden. Erst auf Druck von bestimmten Kreisen, handelte die Swissmedic und musste die Pharmaindustrie handeln. Andererseits werden zu oft Forschungs-ergebnisse nur punktuell oder in einem erwünschten Kontext publiziert.
Spöndlin: Stellen sich diese Probleme
auch in öffentlichen Forschungseinrich-
tungen, also beispielsweise an Universi-
täten?
Alex Schwank: Ein zentrales Prob-
us army africa flickr
lem der medizinischen Forschung liegt darin, dass es nur noch wenig wirklich pharmaunabhängige Forschung gibt. Gegen 80% der klinischen Studien wer-den von der Industrie gesponsert. Meta-analysen haben gezeigt, dass in solchen Studien oft eine Verzerrung, ein so ge-nannter Bias, zugunsten des Sponsors der Studie zu beobachten ist. Angestell-
sung von sicheren Medikamenten für
resse daran haben. Da wird knallhart
te des Sponsors fungieren oft als Ko-Au-
Kinder. Der Markt für diese Medika-
ökonomisch gerechnet. Sogar im Aus-
toren, teilweise auch als heimliche Mit-
mente ist nicht so gross, so dass die Arz-
land bereits zugelassene Medikamente
verfasser. Damit soll nicht bestritten
neimittelhersteller kein wirkliches Inte-
für Kinder werden in der Schweiz erst
werden, dass auch industriegesponserte
3.11 / soziale medizin 25
klinische Forschung zum medizinischen Fortschritt beiträgt. Interessenkonflikte führen aber zu Missbräuchen, welche leider keine Einzelfälle sind und die In-tegrität und die Glaubwürdigkeit der gesamten klinischen Forschung beein-trächtigen.
Ziltener: Dem kann ich nur beipflichten. Es werden beispielsweise ganze Lehr-stühle von der Pharmaindustrie einge-richtet.
Spöndlin: Wie wirkt sich die fehlende
Unabhängigkeit aus?
Schwank: Schon auf der Ebene der
Fragestellung und der Konzeption einer Studie sind Manipulationen zugunsten des Sponsors einer Studie möglich. Be-reits durch manchmal minimale Verän-derungen zugunsten der Testsubstanz oder zuungunsten der Vergleichssubs-tanz kann das Resultat der Studie be-züglich Wirkungen oder Nebenwirkun-gen entscheidend mitbeeinflusst wer-den. Die Konzeption einer Studie be-stimmt das Resultat viel entscheidender als oft angenommen wird. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wirk-
spöndlin sozmedia
lich pharmaunabhängige Professorin-nen und Professoren in der Medizin
kaum mehr anzutreffen sind. Wer an
Wurden früher Professorinnen
einer medizinischen Fakultät Karriere
und Professoren im eigentlichen Sinne „gekauft",
machen will, ist auf ein gutes Verhältnis zur Industrie entscheidend angewiesen.
spielen heute meist subtilere Mechanismen
Diese sponsert Assistentenstellen, finan-ziert Studien, ermöglicht den Auftritt an
der Abhängigkeit und Verpflichtung
Kongressen und trägt über fürstliche Honorare an Weiterbildungsveranstal-
eine Rolle…Alex Schwank
tungen zum Einkommen bei. Wurden früher über erhebliche Geldzuwendun-gen Professorinnen und Professoren im eigentlichen Sinne „gekauft", spielen heute meist subtilere Mechanismen der Abhängigkeit und Verpflichtung eine Rolle, die teilweise den Betroffenen
Schwank: Es sind durchaus Fälle be-
Jüngstes Beispiel dafür ist das Antide-
nicht oder nur teilweise bewusst sind,
kannt geworden, wo durch Manipula-
pressivum Reboxetin (Markenname
ihr Handeln aber dennoch entscheidend
tionen von Studiendaten Resultate ge-
Edronax) der Firma Pfizer. Pfizer hat
fälscht wurden. Selektive Darstellung
acht abgeschlossene Studien mit nega-
günstiger Resultate oder falsche Schluss-
tiven Resultaten für Reboxetin nicht
Ziltener: Oft werden die Medikamente
folgerungen sind zu beobachten. Wich-
publiziert, sondern nur fünf „günsti-
auch nicht im Vergleich zu Placebo ge-
tig bei der Manipulation und Desinfor-
ge". Heute ist klar, dass das Medika-
testet. Sehr oft werden Tatsachen und
mation von Arzneimittelbehörden und
ment unter Berücksichtigung aller Stu-
Meinungen bereits zu Beginn eines For-
Öffentlichkeit ist das sogenannte „se-
dien gar nicht hätte zugelassen werden
schungsprojekts vermischt. Diese aber
lektive Publizieren" (publication bias).
dürfen. Die FDA hat in den USA Rebo-
sollten so gut es geht getrennt werden.
Dabei werden nicht alle durchgeführ-
xetin die Marktzulassung verweigert.
ten Studien in Fachzeitschriften veröf-
Man kann auch – wie Max Frisch ge-
Spöndlin: Sind gewisse Studienergeb-
fentlicht, sondern nur solche, welche
sagt hat - ohne zu lügen, nicht die Wahr-
nisse falsch, die publiziert werden?
den Interessen des Sponsors dienen.
26 soziale medizin / 3.11
dossier s pharma
Ziltener: Das Max Frisch Zitat schwächt
nicht ausschliesslich am Basler Unispi-
Schlaganfälle oder Todesfälle. Surrogat-
meines Erachtens das Problem zu sehr
tal durchführen, weil hier zu wenige Pa-
kriterien wie die Senkung des Choleste-
ab. Geschönte Forschungsergebnisse
tienten zur Verfügung stehen und zu-
rinspiegels oder des Blutzuckers werden
scheinen mir sehr nahe an der Lüge.
dem das Risiko ortsspezifischer Verzer-
zunehmend als Studienendpunkte ver-
rungen besteht. Deshalb braucht es ver-
wendet, was in der Vergangenheit im-
Spöndlin: Würde ein Studienregister, in
bindliche internationale Standards so-
mer wieder zu Fehlbeurteilungen ge-
welchem alle Studien vor Beginn ver-
wie Vorschriften der Arzneimittelzulas-
führt hat. So konnte das Diabetesmedi-
zeichnet werden müssen, das verhin-
sungsbehörden. Dass die Studien und
kament Avandia zwar den Blutzucker
auch das Studiendesign offengelegt wer-
senken, führte aber gleichzeitig zu einer
Schwank: Ein öffentlich zugängli-
den müssen, finde ich ganz wichtig,
Zunahme der Herzinfarkte. Dies konn-
ches Studienregister ist unerlässlich. Es
unter anderem deshalb, dass kritisch
te in den reinen Surrogatstudien nicht
muss gesetzlich verankert sein, dass alle
diskutiert werden kann, welche For-
erkannt werden. Inzwischen ist das Me-
klinischen Studiendaten in einem öf-
schungsziele sinnvoll sind. Auch die Be-
dikament vom Markt genommen wor-
fentlichen Register publiziert werden
gutachtung von geplanten Studien
und dass Firmen alle Daten zu einem
durch eine Ethikkommission finde ich
Medikament, auch die nicht publizier-
unter diesem Gesichtspunkt wichtig.
Ziltener: Dem pflichte ich bei. Hinzu
ten, den Arzneimittelbehörden zugäng-
Das neue Humanforschungsgesetz soll
kommt, dass heute die Werbung der
lich machen müssen. Sinnvoll wäre es,
ja eine solche Begutachtung vorsehen.
Pharmaindustrie vorzugsweise direkt
geplante Studien einer unabhängigen
über die Patientinnen und Patienten
critical review zu unterziehen, um allen-
Schwank: Ein zwar nicht zentrales, mir
läuft. Oft fehlt die Transparenz und die
falls Mängel und Einseitigkeiten früh-
aber wichtiges Anliegen ist die Art und
Nutzenfrage wird kaum beantwortet.
zeitig erkennen und beseitigen zu kön-
Weise, wie Studienergebnisse darge-
stellt und kommuniziert werden. Oft
Spöndlin: Welche Rolle spielen die Pa-
geschieht dies in einer Form, welche zu
tente für das Verhalten der Pharma-
Ziltener: Ein öffentlich zugängliches
Überbewertungen von Studienergebnis-
industrie? Heizen diese den Konkur-
Studienregister, das Studien vor der Pu-
sen führt. Zum Beispiel wird die relati-
renzkampf an?
blikation erfasst, ist unabdingbar. Wir
ve Risikoreduktion in den Vordergrund
Girau: Läuft das Patent eines Pro-
haben das mit einer Motion von Alt-
gestellt, weil sie eindrucksvoller ist als
dukts aus, investiert die Pharmaindust-
Nationalrätin Vreni Hubmann gefor-
die absolute Risikoreduktion. Redu-
rie nicht mehr in dieses. Davon betrof-
dert. Der Bundesrat hat in seiner Mo-
ziert zum Beispiel eine Behandlung die
fen sind ältere Medikamente, obwohl
tionsantwort versprochen, dem Anlie-
Sterblichkeit von 2 auf 1 Prozent, ent-
diese zum Teil nach wie vor sehr wirk-
gen nach einem Register im Rahmen des
spricht dies einer relativen Risikoreduk-
Humanforschungsgesetzes Rechnung
tion von 50%. Auch andere statistische
zu tragen. Jetzt ist unser Anliegen aller-
Tricks führen zu einer verzerrten Be-
Spöndlin: Was liesse sich an alten Me-
dings nur noch in abgeschwächter
urteilung. Verboten werden müssten Be-
dikamenten denn noch forschen? Sind
Form im HFG aufgenommen worden.
hauptungen, welche in der zitierten Stu-
diese nicht längst bekannt?
Ein solches Register würde wohl nicht
die keine Basis haben. In vielen Studien
Schwank: Es gäbe zahlreiche inter-
alle Probleme lösen, aber sehr viele.
Spöndlin: Das Humanforschungsgesetz
wird also Studienregister in einer gewis-
sen – wenn auch nicht ganz befriedigen-
den – Form vorschreiben. Wisst ihr, wie
es sich anderswo verhält?
Dass die Studien und auch
Schwank: Die USA kennen eine sol-
das Studiendesign offengelegt werden müssen,
che gesetzliche Regelung seit 2007.
finde ich ganz wichtig. Jose Xavier Girau
Spöndlin: In der Schweiz führen gewis-
se Universitäten schon heute von sich
aus Studienregister, wie man zum Bei-
spiel auf der Website der Universität
Zürich nachlesen kann.
werden sogenannte Surrogatkriterien
essante Fragestellungen zu Medikamen-
Girau: Solche universitätseigenen
verwendet, um die Wirksamkeit eines
ten, welche keinen Patentschutz mehr
Regelungen sind verdienstvoll, bringen
Medikamentes zu belegen. Wichtig bei
geniessen. Leider scheitern solche Stu-
aber nicht allzu viel. Denn grosse klini-
einer Medikamentenwirkung ist nicht,
dienvorhaben dann oft an der mangeln-
sche Studien werden heutzutage von
ob das Medikament einen Laborwert
den Finanzierung.
einem Verbund von Universitätsklini-
verändert, sondern ob „harte" klinische
ken durchgeführt. Man kann eine wirk-
Endpunkte beeinflusst werden, zum
Girau: Man muss sich vor Augen halten,
lich aussagekräftige Studie in der Regel
Beispiel die Anzahl der Herzinfarkte,
dass hinter der Pharmaindustrie Share-
3.11 / soziale medizin 27
dossier s pharma
holder – also Investoren - stehen, die
zu einem enormen therapeutischen
die Honorare für ihre Vortragstätigkeit
ihren Anteil sehen wollen. Unter dem
Fortschritt geführt. Und weil diese Me-
einen wichtigen Teil des Jahressalärs
Druck der Shareholder lohnt es sich für
dikamente millionenfach verordnet
aus. Die kostenlosen Fachzeitschriften
die Industrie oft nicht mehr, neue Pro-
wurden, führten sie als Blockbuster zu
haben den gleichen Zweck: Gut aufge-
dukte zu entwickeln. Denn das ist teuer
enormen Pharmaprofiten. Die Patente
macht und teilweise auch informativ
und langwierig und die Erfolgsaussich-
dieser Medikamentenklassen sind jetzt
wird unter dem Deckmantel von Fort-
ten sind unsicher. Auch wenn ein Pro-
aber alle am Auslaufen, was zu Gewinn-
bildungsartikeln Pharmamarketing be-
dukt erfolgreich am Markt etabliert
schmälerungen für Big Pharma führt.
trieben. Professor Reto Krapf , Chefarzt
werden kann, können nach ein paar
Die Entwicklung neuer Blockbuster
am Kantonsspital Bruderholz, fordert
Jahren unerwartete Nebenwirkungen
scheint ohne neue Durchbrüche in der
daher zu Recht eine unabhängige und
auftreten und zu einem finanziellen De-
Grundlagenforschung fast unmöglich
eigenfinanzierte Fortbildung für Ärztin-
saster des betreffenden Produkts füh-
und die Pharmaindustrie ist auf der Su-
ren. Die Risiken eines neuen Arzneimit-
che nach neuen Strategien zur Profitma-
tels sind also wesentlich höher, als wenn
ximierung. Eine der Möglichkeiten ist
Girau: Die wissenschaftlichern Mei-
man ein bestehendes soweit verrändert,
die sogenannte personalisierte Medizin,
nungsbildner in unseren Spitälern soll-
dass es in den Genuss eines neuen Pa-
vor allem in der Krebsmedizin. Roche
ten ihre Interessenbindungen offen le-
tentschutzes kommt und neu auf den
hat bewiesen, dass mit solchen Krebs-
gen müssen, damit die Öffentlichkeit
Markt geworfen werden kann. Die Pro-
medikamenten viel Geld verdient wer-
zumindest erkennen kann, wer von
fessoren an den medizinischen Fakultä-
wem beeinflusst sein könnte.
ten sind in diesem Prozess enorm wich-tig. Sie geben ihren Segen zu den er-
Ziltener: Ein Problem ist auch, dass oft
Ziltener: Transparenz ist das eine, klare
wähnten neuen Produkten, die in Wirk-
Langzeitstudien fehlen. Das Krebsmedi-
Regeln für den Umgang mit der Phar-
lichkeit gar nicht so neu sind, und leisten
kament Avastin zum Beispiel wurde zu
maindustrie und deren Vertretern etwas
damit dem Patentmonopolismus Vor-
Beginn getestet und sofort hochgeju-
anderes. Die MEZIS aus Deutschland
schub. Aus der Sicht der Shareholder
belt. Jetzt soll das Mittel bei möglichst
machen einen möglichen Umgang mit
besteht das Problem, dass die Pharma-
vielen Indikationen eingesetzt werden.
der Pharma vor (MEZIS = ‚Mein Essen
industrie gar nicht so viele wirklich neue
Fünf Jahre danach, stellt sich aber he-
zahl ich selbst', eine Initiative unbe-
Produkte in der Pipeline hat. Die Fi-
raus, dass der Nutzen für die Patientin-
stechlicher Ärztinnen und Ärzte, vgl.
nanzanalysten machen sich darüber
nen und Patienten in keinem Verhältnis
Soziale Medizin 3.09 S. 52 ff., abrufbar
Sorgen. Deshalb kaufen die Pharmaher-
zu den damaligen Versprechen steht. Im
steller immer mehr kleinere Unterneh-
Gegenteil, in den USA wurde es zurück-
?category_name=pharma).
men auf, weil diese oft am ehesten noch
gezogen und in Deutschland diskutiert
innovative Medikamente entwickeln.
die Ärztekammer einen Rückzug bei be-
Spöndlin: Kann sich die Pharmaindust-
Innovation kommt bei den grossen
stimmten Indikationen. Und bei uns?
rie nicht mit einem gewissen Recht da-
Pharmaunternehmer eher von aussen
Obwohl beispielsweise das Medical
rauf berufen, dass die Kosten zur Ent-
Board den Mehrnutzen für Patientinnen
wicklung eines Medikaments hoch sind
und Patienten nicht feststellen konnte,
und immer mehr anwachsen?
Spöndlin: Heisst das, dass das Innova-
wird die Behandlung mit Avastin nicht
Schwank: Die Entwicklung von neu-
tionspotenzial der Pharmaindustrie
wirklich in Frage gestellt. Zudem ist die
en Medikamenten ist kostspielig und
weitgehend ausgeschöpft ist, dass die
Werbung für Medikamente oftmals viel
aufwändig, ohne Zweifel. Die kritische
Pharmaforschung technisch an Grenzen
zu aggressiv. Zudem gibt es bereits eini-
stösst?
ge Ghostwriter für wissenschaftliche
gramm' hat in ihrer Ausgabe vom Mai
Schwank: Bei aller Kritik an miss-
Texte und in den Zeitschriften sind nicht
2011 den „800 Millionen Dollar-My-
bräuchlichen Praktiken der Pharma-
selten Texte solcher Art neben einer Me-
thos" allerdings einer kritischen Analy-
industrie ist auch zu anerkennen, dass
dikamentenwerbung platziert. Schliess-
se unterzogen und kommt zum Schluss,
diese der Medizin in den letzten Jahr-
lich wird bei vielen Medikamenten der
die Eigenangaben der Pharmaindustrie
zehnten sehr wirksame und nützliche
Nutzen nicht wirklich nachgewiesen.
seien masslos überzogen. Wichtig ist in
Medikamente zu Verfügung gestellt
diesem Zusammenhang, dass die Phar-
Spöndlin: Dominiert die Pharmaindus-
maindustrie für das Marketing doppelt
trie auch die ärztliche Weiterbildung?
so viel ausgibt wie für die Forschung.
Spöndlin: In welchen Bereichen war
Schwank: Weitgehend. Ein Grossteil
Joe Jimenez, der neue CEO von Novar-
das, etwa bei den Krebsmedikamen-
der Weiterbildungsanlässe ist kommer-
tis, kommt daher bezeichnenderweise
ziell unterstützt und oft eine Plattform
nicht aus der Forschung, sondern war
Schwank: Auch. Noch wichtiger
für das Medikamentenmarketing. Die
und ist ein „Verkäufer". Auf dem wich-
war die Entwicklung neuer Herzmedi-
Referenten werden von der Pharma-
tigsten Medikamentenmarkt der Welt,
kamente und Antidiabetica, von Mit-
industrie ausgewählt und sollen als so-
den USA, sind die Marketingmethoden
teln gegen hohen Blutdruck und Asthma
genannte ‚Opinion leaders' die Ver-
noch einiges aggressiver als bei uns. In
sowie Medikamenten zur Senkung der
schreibungspraxis beeinflussen. Bei ge-
diesem Zusammenhang ist die Verurtei-
Cholesterinwerte im Blut. Dies alles hat
wissen Fortbildungsreferenten machen
lung von Novartis wegen sexueller Be-
28 soziale medizin / 3.11
dossier s pharma
SDie Werbung für Medikamente
chendes neues Rheumamittel entwi-
ist oftmals viel zu aggressiv und es gibt es
ckeln. Wir müssten uns über kurz oder lang mit einem grossen Pharmaunter-
bereits einige Ghostwriter für wissenschaftliche
nehmen zusammentun, um das Produkt gewinnbringend auf dem Weltmarkt zu
Texte. In den Zeitschriften sind nicht selten Texte
solcher Art neben einer Medikamentenwerbung
Ziltener: Bei der Preisgestaltung besteht
platziert. Erika Ziltener
dringender Handlungsbedarf. Vor al-lem ist Transparenz darüber gefragt, welche Kosten wo und wie entstehen.
Girau: Kritikwürdig ist auch eine scheinbare Grosszügigkeit, nämlich dass Pharmahersteller Kliniken Medi-kamente schenken. Diese Schenkungen sind nicht uneigennützig, weil damit ge-wisse Produkte etabliert und von den Patienten nach dem Klinikaustritt wei-ter verwendet werden.
Schwank: Jede Spitalapotheke kann nur ein begrenztes Sortiment führen. Deren Liste ist daher für Pharmahersteller von eminentem Interesse. Den Spitalapothe-ken werden Medikamente zu einem Vorzugspreis zur Verfügung gestellt, so dass Originalmedikamente im Spital oft billiger sind als Generika. Im Austritts-bericht werden dann nur die Namen der Originalmedikamente aufgeführt und der kostenbewusste Hausarzt hat dann die undankbare Aufgabe, den Patientin-nen und Patienten wieder das Generi-kum zu verschreiben und sie davon zu überzeugen, dass Generika billiger und dennoch gleich wirksam sind.
Ziltener: Schon vor vielen Jahren haben wir politisch zu erreichen versucht, dass die Spitäler nur noch die Wirkstoffe ver-schreiben dürfen. Wir konnten dafür jedoch keine Mehrheiten finden.
Girau: Interessant finde ich den Begriff des therapeutischen Mehrwerts, den die Pharmaindustrie gerne benutzt, um Preissteigerungen zu begründen. Neh-
spöndlin sozmedia
men wir an, ich bringe mein Auto in die Werkstatt und lasse Winterreifen mon-tieren. Dabei frage ich den Mechaniker, ob er nicht die Winterreifen vom letzten Jahr wieder verwenden könne. Da sagt
lästigung von weiblichen Angestellten
einer weltweiten guten Marketingorga-
er nein, jetzt gäbe es ein neues Modell,
zu sehen, über die ich kürzlich in der
nisation ist unbestritten und für die Rea-
das viel griffiger sei. Dessen Produktion
Sozialen Medizin geschrieben habe (So-
lisierung von Profiten im Pharmage-
sei zwar 20 Prozent billiger, trotzdem
ziale Medizin 3.10 S. 30, abrufbar unter
schäft unterlässlich. Nehmen wir an,
koste es aber 9000 statt 900 Franken.
Jose Xavier und ich würden in einem
Dies deshalb, weil das neue Reifenmo-
suu). Die ausschlaggebende Bedeutung
Start-up-Unternehmen ein viel verspre-
dell viele schwere Unfälle verhindern
3.11 / soziale medizin 29
dossier s pharma
könne. Und wenn man einen Unfall mit
auch in der Frage der Parallelimporte
menten Menschen werden heute durch
500‘000 Franken veranschlage, sei der
von Medikamenten, wo die bürgerli-
die Qualität der Pflege und soziale
höhere Preis für den Reifen längst ge-
chen Parteien alle ihre marktliberalen
Interventionen erzielt. In diesem Be-
rechtfertigt. Dann verweist er noch da-
Grundsätze über Bord warfen. Die
reich wird aber viel zu wenig geforscht.
rauf, dass die Autoversicherung den
Pharmapreise sind im Wesentlichen
Wir brauchen daher unbedingt Finan-
Aufpreis übernehme, da sie ein ganz vi-
politische Preise.
zierungsquellen, welche solche nicht
tales Interesse an der Unfallvermeidung
auf Medikamente fixierte Forschung
habe. Diese Geschichte finden alle zu-
Spöndlin: Kommen wir nochmals auf
recht absurd. Aber die Pharmahersteller
die Forschung zurück. Wie liesse sich
argumentieren genau so, um ihre Mar-
eine von der Pharmaindustrie unabhän-
Girau: Das kann ich nur unterstützen.
gen in die Höhe zu treiben. Dabei han-
gige Forschung realisieren?
Wir brauchen viel mehr öffentliche For-
delt es sich oft nicht um ein neues Me-
Schwank: Die medizinische For-
schungsmittel, damit der Fokus der For-
dikament, sondern um eine Pseudoin-
schung in der Schweiz ist zu stark auf
schung nicht mehr so einseitig auf phar-
novation. Pseudoinnovationen werden
medikamentöse Interventionen fokus-
mazeutische Interventionen gerichtet
also mit riesigem Aufwand oft über
siert. Aus epidemiologischen Studien ist
bleibt. Wenn für andere Forschungs-
zweifelhafte Studien auf den Markt ge-
klar, dass soziale Ungleichheit krank
richtungen mehr Geld zur Verfügung
bracht, weil es sich für die Pharmakon-
macht. Der Einfluss der sozialen Schicht
stünde, gäbe es auf diesen Gebieten
zerne doppelt lohnt. Einmal wegen des
auf die Wahrscheinlichkeit, einen Herz-
auch mehr Wissenschaftler, die der
neuem Patentschutzes für ein altes Me-
infarkt zu erleiden, ist so gross wie alle
manchmal sehr einseitigen Sicht der
dikament und zum anderen weil über
anderen Risikofaktoren (Cholesterin,
pharmaorientierten Forscher etwas ent-
den „therapeutischem Mehrwert" noch
Rauchen, hoher Blutdruck, Überge-
gegenhalten könnten. Es stellt sich sogar
ein Vielfaches des alten Preises erzielt
wicht, Bewegungsmangel) zusammen.
die Frage, ob sich die pharmazeutische
werden kann.
Die Lebenserwartung von Menschen
Industrie nicht auf das Vermarkten von
aus unteren sozialen Schichten liegt
Medikamenten beschränken und die
Ziltener: Dem kann ich wieder nur bei-
auch in der Schweiz einige Jahre unter
Forschung unabhängigen Einrichtun-
dem Durchschnitt. Den meisten Ärztin-
gen überlassen sollte. Kurz- und mittel-
nen und Ärzten sind diese Zusammen-
fristig lässt sich dies allerdings nicht
Spöndlin: Ist es nicht so, dass die Phar-
hänge weniger oder gar nicht bekannt.
realisieren. Deshalb muss zunächst ge-
mapreise meistens behördlich festgelegt
Welche Strategien hier zu einer Verbes-
währleistet werden, dass alle Pharma-studien kostenlos und frei zugänglich im Internet publiziert werden, über open access. Es müsste institutional reposito-ries geben, wo Forschungsergebnisse einschliesslich der Rohdaten abgelegt und angesehen werden könnten. Dann liessen sich alle Studien auch sehr gut
nachprüfen. Es darf nicht mehr vor-
Der Pharmalobby gelingt es daher immer
kommen, dass Medikamente zugelas-
wieder, sich bei Preisfestsetzungen in der Schweiz
sen werden, nachdem unvorteilhafte Studienresultate einfach unter den Tep-
durchzusetzen. Die Pharmapreise sind im
pich gekehrt wurden. Das ist ein Skan-dal. Es braucht unbedingt Öffentlich-
Wesentlichen politische Preise.
keit und Transparenz. Medikamente die nicht das halten, was die Pharmaindus-
trie verspricht, sind schlecht für Patien-ten und erhöhen die Kosten des Gesund-heitssystems.
werden, weil eine Sozialversicherung
serung des Gesundheitszustands führen
dafür aufkommt. Sie bilden sich nicht
könnten, dazu gibt es kaum Forschungs-
Ziltener: Voll und ganz einverstanden.
einfach so am Markt?
Bleibt noch anzumerken dass Medika-
Schwank: Die Preise bilden sich tat-
Ein typisches Beispiel für die Fixie-
mente – gerade bei Patientinnen und Pa-
sächlich nicht einfach am Markt. Nicht
rung auf medikamentöse Behandlungs-
tienten mit Demenz – trotz fehlendem
vergessen werden darf, dass die Expor-
optionen ist die Demenzforschung. Die
Nutzen weiter verschrieben werden.
te der hiesigen Pharmaindustrie einen
meisten publizierten Studien erfor-
gewichtigen Teil der Handelsbilanz der
schen die Wirksamkeit von Medika-
Spöndlin: Haben die Arzneimittelzulas-
Schweiz ausmachen. Der Pharmalobby
menten, welche leider gerade bei der
sungsbehörden heute die Rohdaten von
gelingt es daher immer wieder, sich bei
Alzheimerdemenz bis heute nur be-
Preisfestsetzungen in der Schweiz
dingt wirksam sind. Die wirklichen
Girau: Wahrscheinlich hat sie die
durchzusetzen. Zu beobachten war dies
Fortschritte in der Betreuung von de-
FDA, prüft sie aber nicht. Es ist auch
30 soziale medizin / 3.11
dossier s pharma
ten Studiendaten auf ihre Praxisrele-vanz überprüfen.
Girau: Der Schweizerische National-fonds (SNF) verlangt eine solche Veröf-fentlichung bei Studien, die er unter-stützt. Der SNF hat die «Berlin Decla-ration on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities» von 2006 unterzeichnet. Allerdings haben Wis-senschaftler noch immer einen schwe-ren Stand, wenn sie Publikationen, Stu-dienergebnisse samt Rohdaten gegen den Widerstand von Industrie und Ver-lagen ins Web stellen wollen. Es wäre daher sehr sinnvoll, den Open Access Gedanken fest im Urheberrecht zu ver-
spöndlin sozmedia
ankern, um den Wissenschaftlern in ihren Bestrebungen um Transparenz den Rücken zu stärken (http://www.
ub.edu/bid/18kuhle3.htm)
Spöndlin: Ist der Nationalfonds ein Bei-
spiel für Forschung aus öffentlichen
Mitteln.
Girau: Ja, das ist richtig. Pharmafor-
schung wird durch den Nationalfonds aber kaum gefördert. Dieser unterstützt Forschungsprojekte aus Sozial, Geistes- und Naturwissenschaften, die sonst nicht finanziert würden. Im Bereich der Medizin unterstützt er vor allem Grund-lagenforschung. Eine Finanzierung jed-weder universitären Forschung durch die Steuerzahler findet aber schon des-halb statt, weil die Infrastruktur der Uni-versitäten von den Forschenden genutzt wird. Und die Infrastruktur ist eben aus öffentlichen Mitteln mitfinanziert. Wis-
SEs darf nicht mehr vorkommen,
senschaftliche Ergebnisse können des-halb nicht uneingeschränkt Privateigen-
dass Medikamente zugelassen werden, nachdem
tum der Professoren sein. Die freie Zu-
unvorteilhafte Studienresultate einfach unter den
gänglichkeit der Forschungsergebnisse samt Rohdaten über ‚open access' stellt
Teppich gekehrt wurden. Das ist ein Skandal.
ein vorzügliches Mittel zur Schaffung von Transparenz in der Forschung dar.
Jose Xavier Girau
Diese Transparenz würde der For-schung gut anstehen, für Patientinnen und Patienten und unser Gesundheits-system wäre sie ein Segen.
Ziltener: Zustimmung auf der ganzen
nicht die Aufgabe beispielsweise von
Grundlagen dazu wären vorhanden, die
Swissmedic, Studien nachzuprüfen. Das
Publikation der Rohdaten im open ac-
würde den Rahmen ihrer Tätigkeit
cess zu verlangen.
Spöndlin: Jose Xavier Girau, Alex
sprengen. Die Zulassungsbehörden be-
Schwank, vielen Dank für dieses Ge-
kommen eine fertige Studie, und das
Schwank: Das würde viel bewirken.
spräch. Erika Ziltener danke ich für ihre
reicht ihnen. Sie hätten es aber in der
Nicht nur Arzneimittelbehörden, son-
Kommentare auf dem Korrespondenz-
Hand, vorausgesetzt die gesetzlichen
dern auch andere Organisationen könn-
3.11 / soziale medizin 31
Arzneimittelstudie aus und führt häufig zu einem für den pharmazeutischen
Sponsor positiven Ergebnis. Der Zu-gang der Öffentlichkeit zu Studienpro-tokollen und Ergebnissen muss gewähr-leistet sein. Darüber hinaus sollten ver-stärkt Arzneimittelstudien durchge-führt werden, die unabhängig von phar-mazeutischen Unternehmen finanziert werden."
Klemperer beschreibt in seinem Edi-
torial die Manipulationstechniken, mit welchen „einer Studie ein Drall in die gewünschte Richtung" gegeben werden kann: „Die Resultate können unter-schiedlich ausfallen, je nachdem, was gefragt und was nicht gefragt wird, wel-che der möglichen Endpunkte einbezo-gen werden.Das Verschweigen von Er-gebnissen, die der Vermarktung einer Substanz hinderlich sein könnten, sowie
die Uminterpretation negativer und nicht eindeutiger Ergebnisse sind weite-re Mittel der Manipulation." Es werden Ghostwriter und Gastautoren in indus-
«Marketing vor Evidenz, triell finanzierten Studien eingesetzt und
Statistiker der Pharmaindustrie in der
Umsatz vor Sicherheit»
Publikation nicht namentlich aufge-führt.
Von der Pharmaindustrie gespon-
Mit dieser Einleitung beginnt das Edi-
serte Arzneimittelstudien zeigen
torial von Prof. Dr. Klemperer von der Hochschule Regensburg in einer Aus-
Beispiel Reboxetin (Markenname
häufiger ein positiveres Ergebnis
gabe des Deutschen Ärzteblatts im Jah-
als unabhängig finanzierte. Das Antidepressivum Reboxetin ist ein
re 2010 zur Studie „Finanzierung von Arzneimittelstudien durch pharmazeu-
Pharmazeutische Firmen publizieren
klassisches Beispiel für den ver-
tische Unternehmen und die Folgen"
Studien oft bewusst nicht, wenn diese
zerrenden Effekt des selektiven Pu-
von G. Schott et al. (Dtsch Aerztbl Int
keine positive Wirkung für das Medika-
blizierens (publication bias) auf die
2010; 107(17): 295-301).
ment der Firma ergeben. Studien mit
„Marketing vor Evidenz, Umsatz
negativem Ausgang werden zurückge-
Beurteilung eines Medikaments.
vor Sicherheit" lautet der Titel dieses
halten. Der Psychiater Klaus Lieb, Pro-
Editorials, der die Studie prägnant zu-
fessor an der Uni Mainz und Mitautor
sammenfasst. Die Autorinnen und Au-
der oben angeführten Studie, meint
toren weisen in ihrer Untersuchung
dazu : „Wenn man so will, kann man
nach, dass Studien, welche von der In-
das klar als Marketingstrategie bezeich-
dustrie finanziert werden, für die unter-
nen. Wenn man nämlich die mit positi-
Was würden Sie sagen, wenn
der Ausgang eines Fuss-ballspiels von einem der
suchte Substanz häufiger positivere Er-
vem Ausgang publiziert und die anderen
Vereine mit 5 : 0 und vom gegnerischen
gebnisse erbringen als anderweitig fi-
in der Schublade liegen lässt, dient das
Verein mit 3 : 1 gemeldet würde, und
nanzierte Studien. In den Schlussfolge-
natürlich dem Marketing. Ich halte die-
zwar jeweils für die eigene Mannschaft?
rungen zur Studie Schott et al. ist zu
ses Vorgehen für höchst problematisch,
Genau dies ist das Ergebnis einer der 57
lesen: „Bei der Beurteilung eines Arznei-
vor allem weil es unethisch ist, weil da-
Studien, die Dr. Gisela Schott von der
mittel führen Angaben aus publizierten
durch die Effekte von Medikamenten
Arzneimittelkommission der deutschen
Studien, die von pharmazeutischen
überschätzt werden".
Ärzteschaft ausgewertet hat: In fünf Stu-
Unternehmen mitfinanziert wurden,
Das Institut für Qualität und Wirt-
dien hat die Firma Lilly ihre Substanz
häufig zu einem verzerrten Bild. Dies
schaftlichkeit im Gesundheitswesen
Olanzapin mit Risperidon verglichen
wird nicht durch die methodische Qua-
(IGWiG) hat am Beispiel des Antide-
(Ergebnis 5 : 0 für Olanzapin) und in 4
lität der Arzneimittelstudien erklärt.
pressivums Reboxetin diese schädliche
Studien die Firma Janssen ihr Risperi-
Die Finanzierung durch ein pharmazeu-
Praxis des selektiven Publizierens (pu-
don mit Olanzapin (Ergebnis 3 : 1 für
tisches Unternehmen wirkt sich in ver-
blication bias) an den Pranger gestellt.
schiedenen Bereichen im Ablauf einer
Das Institut wollte die Wirksamkeit von
32 soziale medizin / 3.11
dossier s pharma
Massnahmen, welche einer
Studien auswerten. Und das Ergebnis
Unabhängigkeit in der
war: Wenn wir die publizierten und die unpublizierten Studien zusammen aus-
Forschung förderlich wären
werten, können wir keinen Nutzen mehr für das Präparat feststellen. Hier haben wir praktisch den ‚worst case':
Universitätsrat sollten keine
müssen begründet und dadurch nach-
Die publizierten Studien haben einen
Personen aus der Wirtschaft (Pharma-
vollziehbar bzw. anfechtbar werden,
Nutzen des Präparates nahegelegt. Aber
industrie, Verlage, etc.) vertreten sein.
Tagungen öffentlich abhalten, Stellen
wenn die unpublizierten Daten dazu ge-
Diese haben mehr Ihre Klientelinteres-
in Ethikkommissionen müssen öffent-
kommen sind, war der Nutzen nicht
sen im Blickpunkt als eine freie unab-
lich ausgeschrieben werden, Ethik-
mehr nachzuweisen".
kommissionen vernetzten sich mit an-
Unterdessen kann in Deutschland
des Arzneimittelgesetzes
dern Ethikkommissionen und Ethik-
das Medikament nicht mehr zu Lasten
mit der Notwendigkeit, dass ein the-
gruppen ,wie sie z.B. in Krankenhäu-
der Krankenversicherung verordnet
rapeutischer Mehrnutzen bewiesen
sern existieren).
werden. In den USA wurde Edronax
werden muss (strenge Nachweis-
von der FDA gar nicht erst zugelassen.
siertes Studienregister über For-
In der Schweiz ist das Medikament wei-
des Urheberrechtsgeset-
terhin kassenpflichtig. Was macht
zes und verpflichtenden Veröffentli-
Amtsträgerhaftung
aller Ärzte, die
eigentlich swissmedic?
chung von Studien und Forschungs-
im öffentlichen Interesse forschen, da-
ergebnissen unter „open access"-Be-
mit viele Delikte strafrechtlich verfolgt
dingungen (siehe Berliner Erklärung
Unabhängige Forschung
open access, Rainer Kuhlen). Öffent-
öffentliche Förderung der
lichkeit und Transparenz sind proba-
klinischen Forschung
te Mittel, um Studien qualitativ nach-
Conflict of interest-statements"
„Die Arzneimittelforschung befindet
vollziehbar zu machen.
bei relevanten Publikationen
sich in einer Schieflage. Die Mehrzahl
gesetzlich die Möglich-
herzustellen ist das
der Studien wird von der Industrie fi-
keit geben, unabhängige Studien in
allerwichtigste – Zuwendungen an öf-
nanziert. Grosse pharmazeutische Fir-
Auftrag zu geben.
fentliche Funktionsträger oder Entbin-
men haben in zahlreichen, durch interne
öffentliche Mittel geförderte
dung von Zuwendungsnehmern von
Dokumente und Unterlagen gut doku-
unabhängige Forschung.
mentierten Fällen die Evidenz verbogen,
Forschung im Bereich nicht
erbot der Gratisabgabe bzw. ver-
bis sie für das Marketing tauglich war",
billigte Abgabe von Medikamenten an
so die prägnante Schlussfolgerung von
orsorgen ist besser als heilen:
Prof. Klemperer in seinem Editorial.
Möglichkeiten der Prophylaxe besser
inrichtung von Ombudsstellen
Am Deutschen Ärztetag 2009 hat
entwickeln (Sozialer Aspekt des krank
und Anlaufstellen für Whistleblower,
der Mitautor der Studie Prof. Klaus Lie-
Werdens, Armut und Gesundheit .).
damit Missstände an die Öffentlich-
big mehr Geld für pharmaunabhängige
nabhängige Ethikkommissionen
keit kommen.
Forschung gefordert. Die Delegierten
(die Mitglieder legen Ihre Verbindun-
schlossen sich grossmehrheitlich dieser
gen offen, ethische Entscheidungen
Jose Xavier Girau
Forderung an.
Klemperer fordert zudem, dass Arz-
neimittel nur noch zugelassen werden,
Reboxetin überprüfen. Bald wurde klar,
Unter Berücksichtigung aller Studien-
wenn ein erwiesener Zusatznutzen für
dass der Hersteller Pfizer zwei Drittel
daten lässt sich hingegen kein positiver
patientenrelevante Endpunkte nachge-
aller bislang in Studien erhobenen
Effekt mehr nachweisen und die Rate
wiesen worden ist. Konkret heisst das,
Daten unter Verschluss gehalten hatte.
der registrierten Nebenwirkungen, wel-
dass Studien mit Surrogatendpunkten
Erst auf öffentlichen Druck war Pfizer
che zu Studienabbrüchen führen, nimmt
(siehe Interview) allein keine Zulassung
gezwungen, alle Daten zur Verfügung
erheblich zu. In den Schlussfolgerungen
mehr begründen können. Zudem sollen
zu stellen. Im Oktober 2010 publizierte
heisst es lapidar: „ Reboxetine is, over-
Studienprotokolle schon vor der Rekru-
das Institut im British Medical Journal
all, an ineffective und potentially harm-
tierung der Patienten einer breiten Fach-
(BMJ 2010; 341: c4734) seinen Ab-
ful antidepressant". Beate Wieseler
öffentlichkeit vorgelegt werden, um
schlussbericht. In der Analyse wurden
vom IGWiG erklärte dazu in einem
eventuell Schwachstellen zu erkennen,
13 Studien mit 4098 Patienten berück-
Interview mit dem SWR2-Journalisten
bevor es zu spät ist. Klemperer fordert
sichtigt. Davon waren die Daten von
Nordwig (4.4.ll):
konkrete politische Schritte, „damit
75% der Patienten vorher nicht publi-
„Die Firma Pfizer hat sich nach der
zum Schutze unserer Patienten die Evi-
ziert worden. Werden nur die von Pfizer
öffentlichen Reaktion auf diesen Be-
denz über das Marketing siegt und Si-
publizierten Studien berücksichtig,
richt entschlossen, uns doch noch alle
cherheit vor Umsatz geht".
scheint ein Nutzen von Reboxetin im
Daten zur Verfügung zu stellen. Wir
Vergleich zum Placebo vorzuliegen.
konnten dann also die Gesamtheit der
3.11 / soziale medizin 33
heimermedikamente), Antidepressiva (wie Cymbalta), Antidiabetika (Glita-zon, Inkretinmimetika, Insulinanaloga),
destempsanciens flickr
Cholesterinsenker (Ezetrol), Blutdruck-medikamente (Sartane) und Nikotinent-wöhnungsmittel (Champix). Sie fanden 638 Werbungen für die ausgewählten Medikamente (14 bis 161 pro Zeitschrift und 297 Artikel mit Empfehlungen für oder gegen ein Medikament).
Die Autoren konnten klar und ein-
deutig feststellen, dass in den durch Werbung finanzierten Zeitschriften die besprochenen Medikamente „strong-ly" empfohlen werden und fast nur positive Bewertungen zu verzeichnen sind, während in den durch Abos finan-zierten Zeitungen wesentlich kritischer berichtet wird. Werbefinanzierte Fort-bildungszeitschriften torpedieren also die kritische Berichterstattung und die Bemühungen um eine evidenzbasierte Medizin.
Fortbildungszeitschriften sind bei
Pharmaherstellern beliebte Werbeträ-ger. Viele Ärztinnen und Ärzte glauben, sie seien durch Werbung in ihrer Ver-schreibungspraxis wenig beeinflusst. Die Pharmaindustrie weiss dies besser, sonst wären die Marketingbudgets nicht so hoch.
Der Arzt Etzel Gysling, der mit sei-
ner werbefreien pharma-kritik seit 33 Jahren wesentlich zu einer kritischen Arzneimittelinformation in der Schweiz beiträgt, hat 2007 in einem Artikel „Der
«Wes Brot ich ess,
Niedergang der Pharmaindustrie" sein Credo formuliert:
„Sicher empfiehlt es sich, sämtliche
des Lied ich sing…»
Informationen, die uns von der Pharma-industrie zukommen, mit grösster Zu-rückhaltung zu interpretieren. Bei allen Arbeiten die uns die grossen Vorteile
Finanzierungsart von Fortbildungszeitschriften
eines neuen Präparates demonstrieren
sollen, ist Vorsicht angezeigt. Zu Recht kann man sich auch fragen, ob es sich
lohnt, einer der mit Werbung" gespick-ten" Gratiszeitschriften überhaupt in
arburger und Göttinger
Medizinische Wochenschrift (MMW),
die Hand zu nehmen" (pharma-kritik
Allgemeinmediziner ha-
das Deutsche Ärzteblatt mit gemischter
ben untersucht, ob die
Finanzierung über Werbung und Abon-
Art der Finanzierung medizinischer Zeit-
nements sowie werbefreie Zeitschriften
schriften, die der Fortbildung dienen, die
wie arznei-telegramm und Arzneimit-
darin abgegeben Therapieempfehlungen
telbrief. Die erwähnten Allgemeinme-
beeinflusst. Sie werteten 465 Ausga-
diziner untersuchten Therapieempfeh-
Literaturangabe: Becker et al: The association
ben von 11 deutschen Zeitschriften des
lungen für patentgeschützte und damit
betweeen a journal's source of revenue and
Jahrgangs 2007 aus. Fünf sind kosten-
teure Medikamente, deren Nutzen oder
the drug recommendations made in the artic-
los vertriebene Zeitungen wie Ärztezei-
Indikationsbreite kontrovers beurteilt
les it publishes. Can.Med.Ass.J. 2011; 183:
tung, Medical Tribune und Münchner
werden: Cholinesterasehemmer (Alz-
34 soziale medizin / 3.11
Source: http://www.patientenstelle.ch/sites/default/files/sozmed_311.ruedi-def%20(verschoben).pdf
Risk Assessment of QT Prolongation with Citalopram and Escitalopram: An Evidence Based Review André S. Pollmann1, Joel C. Bergman1, Katie L. Lines1 1BSc Pharm canditate, College of Pharmacy, Faculty of Health Professions, Dalhousie University Recent health advisories have identified a risk of QT prolongation with the commonly used antidepressants citalopram (Celexa®) and escitalopram (Cipralex®). Pertinent literature was searched for, uncovered, and critically assessed to determine the comparative risk of arrhythmias or death between citalopram and escitalopram. No data were found directly addressing our clinical question by evaluating the two antidepressants for their comparative risk. However, several randomized and crossover trials, as well as a cohort study, were found to address questions regarding the cardiovascular risk of each agent. Available studies indicate a dose-related lengthening of the QT interval with both antidepressants, suggesting that these agents should be used at lower doses in patients with risk factors for arrhythmias. Overall, the evidence suggests that there is no clear advantage to using escitalopram in place of citalopram to minimize the risk of QT prolongation resulting in fatal arrhythmias.
Manual de instruçõesManual de instruccionesOperating instructions Atenção! Leia Antes de Usar.¡Atención! Lea Antes de Usar.Attention! Read Before Using. FERRAMENTAS ELÉTRICAS 280mm (11-1/16") Indicações gerais de segurança para ferramentas elétricas Atenção! Devem ser lidas to-